Es wird oft gesagt, dass ein Schüleraustausch und ein längerer Aufenthalt im Ausland für Schülerinnen und Schüler eine besondere und einzigartige Möglichkeit ist, besondere Erfahrungen zu sammeln, den eigenen Horizont zu erweitern und unter anderem auch die eigene Komfortzone zu verlassen. Für mich als 11. Klässler war deshalb die Aussicht, vier Monate in Südkorea zu verbringen, einerseits sehr aufregend aber auch überfordernd, vor allem, weil ich nicht wusste, was mich erwarten würde. Von meinen Eltern hatte ich zum einen gehört, dass die Schultage in Korea sehr lang sind und dass Handys auf meiner Schule komplett verboten seien. Wie sollte ich denn damit klarkommen? Bis 23 Uhr in der Schule, wie soll man das als Schüler überleben? Ich hatte auch Sorgen, dass mein Koreanisch nicht gut genug sein würde und ob ich überhaupt Freunde finden könnte. Was, wenn ich die ganze Zeit allein bin? Wie soll ich denn überhaupt Freunde finden, wenn man fast nur in der Schule sitzt und lernt? Kann ich so überhaupt Spaß haben? Von den kulturellen Unterschieden bis zu den schulischen Erfahrungen gab es sehr viele Unklarheiten und unzählige Fragen. Doch was jetzt übrig bleibt sind unglaublich viele großartige Erinnerungen und Freundschaften sowie viele Erkenntnisse über das Schulleben und die Lebensweise in Südkorea.
Das Schulleben in Korea
Beginnen wir mit einigen grundlegenden Informationen: Wie an den meisten Schulen in Südkorea startete mein Schultag um 8:45 Uhr. Am Montagmorgen mussten wir sowohl das Handy als auch unser Tablet im Lehrerzimmer abgeben. Das Handy erhielt man erst am Freitagabend zurück, und das Tablet durfte lediglich während des Unterrichts genutzt werden. Grund hierfür ist, dass die Schülerinnen und Schüler sich so besser auf die Schule konzentrieren können und sie nicht so leicht abgelenkt werden. Da meine Schule eine private christliche Schule war, fand in der 1. Stunde immer QT, also „Quiet Time“ statt. Diese Zeit wurde genutzt, um die Bibel zu lesen und einen Plan für den Tag zu erstellen. Der reguläre Unterricht fand von 9:30 Uhr bis 12:00 Uhr statt, gefolgt von einer einstündigen Mittagspause bis 13:00 Uhr. Danach setzte sich der Unterricht bis 16:30 Uhr fort. Ab 18:15 Uhr hatten wir die Möglichkeit, an zusätzlichem Coaching teilzunehmen und/oder selbstständig zu lernen (unter Aufsicht der Lehrer), was in der Regel bis 21 oder sogar 23 Uhr andauerte. Somit betrug die tägliche Lernzeit insgesamt bis zu 14,5 Stunden.
Diese freiwillige Lernzeit bis 23 Uhr wird als „Yaja“ bezeichnet. Sie ist nicht verpflichtend, aber trotzdem blieben alle Schüler, einschließlich mir (ab Ende September), fast jeden Tag bis zur Schlussglocke in der Schule. Der Grund hierfür ist, dass der im Unterricht behandelte Stoff manchmal nicht ausreicht, um die Inhalte, die in den darauffolgenden Stunden präsentiert werden, vollständig zu verstehen. Das bedeutet, dass es immer sehr viele Hausaufgaben und zusätzliche Lerneinheiten gibt, die über das hinausgehen, was ursprünglich im Unterricht besprochen wurde.
Die Unterrichtsmethodik war auch überwiegend lehrergestützt und anders als in Deutschland, wo viel in Gruppen gearbeitet wird und interaktive Lernmethoden geschätzt werden, bestand der Unterricht in Korea in vielen Fächern aus Frontalunterricht und zeichnete sich durch einen starken Fokus auf Auswendiglernen und schriftliche Prüfungen aus. Natürlich gab es in manchen Fächern auch Gruppenarbeiten und Projekte in Gruppen, doch meistens war der Unterricht auf die End-of-year-exams (Gimalgosa) am Ende des Schuljahres und vor allem auch auf die „Suneung“ nach dem 12. Schuljahr ausgelegt (vergleichbar mit dem deutschen Abitur). Allerdings findet die Suneung im Gegensatz zum Abitur landesweit an einem einzigen Tag statt. Für die Schülerinnen und Schüler in Korea ist die Suneung eine der allerwichtigsten Tage als SchülerInnen, da die Ergebnisse der Prüfung von fast allen Universitäten in Korea für die Zulassung herangezogen werden. Deshalb werden am Prüfungstag zum Beispiel Flüge verschoben, um Lärm während des Hörverstehens zu vermeiden, oder Geschäfte öffnen später, um den Verkehr zu verringern, damit die Schüler pünktlich zur Prüfung ankommen können. Die anderen Stufen haben an dem Tag zudem schulfrei.
In Korea gibt es deshalb auch private Lerninstitute, die sogenannten „Hagwon“, die dort äußerst beliebt und verbreitet sind. Man kann nach dem regulären Unterricht der Schulen diese Hagwons besuchen und dort an mehr Lerneinheiten teilnehmen. Die Mehrheit der Schüler besucht diese Hagwons, da sie sich intensiv auf die Suneung vorbereiten wollen. Doch ein Problem damit ist, dass die Schüler sich hauptsächlich auf die Prüfungsinhalte konzentrieren, wodurch sie nicht unbedingt Stoff oder Kenntnisse erwerben, die sie außerhalb der Prüfungen benötigen.
Da meine Schule allerdings privat ist, hat sie die Hagwons verboten. Stattdessen bietet sie uns die Möglichkeit, am Yaja teilzunehmen. Dies gibt uns die Möglichkeit, uns auch auf andere Dinge zu konzentrieren da man selbstständig lernen kann und nicht gezielt für die Abschlussprüfungen lernt. Ich konnte deswegen beispielsweise die Zeit zum Teil nutzen, um mein Koreanisch weiter zu verbessern.
Noch ein großer Unterschied zum deutschen Schulsystem, welches noch erwähnenswert ist, ist dass es in der koreanischen Sprache klare Unterschiede zwischen „jondaetmal“, der formellen Sprache, und „banmal“, der informellen Sprache gibt. Ältere Mitschülerinnen und Mitschüler oder generell Freunde, die älter als man selbst sind, werden aus Respekt beispielsweise mit speziellen Titeln wie „hyeong“ oder „nuna“ angesprochen. Auch im Alltag zeigt sich Respekt auch in vielen anderen Verhaltensweisen, wie dem Warten, bis Ältere am Tisch begonnen haben zu essen.
Meine Erfahrungen
Da meine Eltern aus Korea stammen, rede ich zu Hause auf Koreanisch und kannte bereits alle Höflichkeitsregeln und Umgangsformen, weshalb ich so gut wie keine Probleme hatte, mich mit meinen Freunden und Lehrern zu unterhalten und zu verständigen. Allerdings habe ich noch nie so lange am Stück in Korea gelebt, da ich in England geboren wurde und in Deutschland aufgewachsen bin. Die Schwierigkeiten lagen daher darin, dem Unterricht in Fächern wie Geschichte oder Wissenschaften wie Physik und Chemie zu folgen, da dort alles auf Koreanisch erklärt wurde, weshalb ich die meisten Begriffe und deren Bedeutungen nicht kannte, da sie nicht im Alltag genutzt werden.
Aber natürlich habe ich in Korea nicht nur gelernt. Ich hatte auch viele Möglichkeiten, Schüler aus anderen Stufen kennenzulernen und mich mit ihnen zum Beispiel in den Pausen anzufreunden. Dies war deutlich einfacher, da die Schule deutlich kleiner war als übliche Schulen, mit nur einer Klasse bestehend aus höchstens 16 Schülern pro Stufe. Ich war deswegen auf vielen Klassenausflügen mit den anderen Stufen und auch an den Wochenenden haben wir Vieles gemeinsam unternommen. Beispielsweise waren wir auf einer Campingtour mit der gesamten Oberstufe, oder waren mit der Mittel- und Oberstufe Schlittschuhlaufen. Zudem habe ich viele neue traditionelle koreanische Spiele kennengelernt, sei es Kartenspiele oder Gruppenspiele.
Die Fächerauswahl an meiner Schule war ebenfalls besonders interessant, da an manchen Nachmittagen ungewöhnliche Kurse wie Kochen oder Musikanalyse angeboten wurden. Der Kurs Musikanalyse befasste sich beispielsweise mit der Analyse von Liedtexten, unter anderem aus dem K-Pop und traditionellen koreanischen Liedern. Ein weiteres außergewöhnliches Fach war „Chodeung-dongali“. Dabei übernahmen die Schüler der Oberstufe die Rolle von Lehrern und unterrichteten Grundschüler in verschiedenen Bereichen. So durfte ich mit fünf Mitschülern zusammen einen Basketballkurs für jüngere gestalten und als „Lehrer“ leiten.
Diese Fächer waren eine gute Abwechslung zu den typischen Unterrichtsfächern dar, sowohl in Deutschland als auch in Korea. Sie boten mir die Möglichkeit, etwas völlig Neues zu erleben und auszuprobieren. Zusätzlich war das Spielen eines Musikinstruments Pflicht, ebenso wie die Teilnahme am Orchester ab dem siebten Jahrgang, was bedeutete, dass das Schulorchester sehr vielfältig und gut besetzt war.
Abschließend lässt sich sagen, dass ich während meinem viermonatigen Aufenthalt die Gelegenheit hatte, unzählig viele neue Freundschaften zu knüpfen, die mir geholfen haben, mich in einer völlig neuen Umgebung schnell wohlzufühlen und die meinen Aufenthalt so besonders gemacht haben. Meine Mitschüler begegneten mir sehr aufgeschlossen und haben mich überall integriert. Die gemeinsamen Aktivitäten, egal wann, haben mir nicht nur der koreanischen Kultur nähergebracht, sondern auch gezeigt, wie wichtig Gemeinschaft und Freundschaft im Schulalltag sind.
Diese Monate in Südkorea haben mich in vielerlei Hinsicht geprägt: Ich habe nicht nur akademische Fähigkeiten und kulturelles Wissen erworben, sondern vor allem gelernt, offen für Neues zu sein, Herausforderungen mit Zuversicht anzugehen und vor allem die kleinen, besonderen Momente des Lebens zu schätzen. Es war eine besondere Reise, ohne Zweifel, deren Erinnerungen und Erlebnisse ich für immer in meinem Herzen tragen werde.
Jay Choi (EF)