Lena Bodewein

Die Stimme des NDRs
Abiturjahrgang 1993

Lena Bodewein kam 1974 im rheinischen Jülich zur Welt. Dort gibt es eine Renaissance-Festung*, Nobelpreisträger und einen Tischtennisverein.
* So steht es im offiziellen Lebenslauf, den die ARD auf ihren Internetseiten stehen hatte. Diese Renaissancefestung ist selbstredend die „schönste Schule Deutschlands“. So nannte sie, glaube ich, der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, als er die Zitadelle einmal besuchte. Zu seinen Ehren spielte das Schulorchester unter Pedro Obiera Renaissance-Tänze von Michael Prätorius in der Schlosskapelle. Und der Würdenträger musste sich an mir und meinem Kontrabass vorbei zum Goldenen Buch der Schule durchquetschen. Auf dem Rückweg fragte er, ob ich viel üben würde auf diesem schönen Instrument. „Nicht genug“, meinte ich, „man kommt ja zu nichts, aber das kennen Sie ja selbst.“
Der Gedanke an die „schönste Schule Deutschlands“, die auch meine Geschwister Stefan und Katrin besucht haben, macht mich immer noch gut gelaunt. Wenn man Ortsfremden erzählt, wo man herkommt, heißt es: „Ach, Jülich, ist das nicht Ostfriesland?“ „Nein, das ist Aurich.“ „Ach, aber das hat ein Atomkraftwerk!“ „Naja, es ist ein Forschungszentrum. Aber vor allem hat es eine tipptopp Renaissancefestung zu bieten! Und da bin ich zur Schule gegangen!“
Wenn ich jetzt gelegentlich am PZ vorbeiradele, muss ich grinsen. Der Schweiß wilder Mittel- und Oberstufenparties liegt hier in der Luft, inklusive Pogo auf „So lonely“, genauso wie die Panik, noch schnell Hausaufgaben fertigzustellen oder in der Fünfminutenpause hektisch Tipps für die gleich anstehende Klausur zu sammeln.
Die kleinen Herausforderungen des Schulalltags. Dazu gehörte auch der heimliche Triumph, wenn man sich als Mittelstufler in den Innenhof geschmuggelt hatte, der eigentlich nur den oberen Klassen vorbehalten war.

Lena im New Yorker UN-Hauptquartier

Es war aber noch spannender, wenn auch nicht ganz erlaubt, die Dunkelheit der Kasematten zu erforschen, doch auch der „normale“ Schulweg durch die Poterne hatte einfach etwas. Wenn man sich vorstellte, wie eventuell Belagerte heißes Pech durch die Öffnung in der Decke des gewundenen Ganges gossen, um Eroberer abzuhalten. Der Sportplatz auf der Bastion und der Verlust von Wurfbällen, die über den Zaun in den Wallgraben flogen. Säuberungsaktionen der umweltorientierten Unterstufenklässler im damals noch nicht sanierten Wallgraben. Oder die zwar nervigen Wege, die wir zurücklegen mussten zwischen den noch ausgelagerten Baracken und den Chemie-, Physik- und Biologieräumen – sie erlaubten uns zumindest, den Unterricht ein paar Minuten abzukürzen – „wir müssen noch zurücklaufen, sonst kommen wir zu spät!“
Unsere Jahrgangsstufe hatte später ein, wie soll man es nennen, interessantes Feld zu bearbeiten: Unstimmigkeiten mit dem damals neuen Schulleiter Peter J. Reichard, mit denen ich mich in der Schülervertretung und als Schülersprecherin mehr oder minder erfolgreich beschäftigte. Ich glaube, beide Seiten befanden: Wir hatten es nicht leicht miteinander. Weshalb unsere Abi-Zeitung 1993 eine chicke Karikatur von Norbert Neumeister zierte: ein abgerissener Kerl mit Reichards Gesicht und dem Titel: „Haste mal n Abi?“
Nachdem das erworben war, zerschlugen sich für mich zunächst mehrere Mög-lichkeiten eines Freiwilligen Ökologischen Jahres – „in Wilhelmshaven? In diesem Nichts? Auf gar keinen Fall!“ – „Wie, der WWF will mich keine Mönchsrobben in der Ägäis zählen lassen?! Und nun?!“ – So landete ich, ein wenig orientierungslos, bei den Jülicher Nachrichten. Ein Glücksfall. Denn dort lernte ich nicht nur eine lebenslange Freundin kennen, deren Hochzeit ich im vergangenen Sommer in New York besuchen konnte, sondern merkte, dass mir Geschichtenerzählen liegt.
Im weiteren offiziellen Vita-Text klingt das dann so:
„In Köln besuchte sie die Journalistenschule. Nach einem Ausflug in die Pressearbeit für orangefarbene Mäuse, blaue Bären und Currywurst essende Kommissare – sprich: die Sendung mit der Maus, Käpt’n Blaubär, den kleinen Maulwurf und den Tatort – studierte sie Germanistik und Anglistik in Köln, Manchester und Hamburg. Sie blieb an der Elbe und volontierte beim NDR; seit Februar 2005 arbeitete sie als Redakteurin bei NDR Info. Hier berichtete sie vor allem über Themen aus Kultur und Boulevard, über Autorentheaterfestivals ebenso wie über „100 Jahre Cornflakes“, über „das Nichts in Musik und Dichtung“ oder die „Kulturgeschichte des Kusses“. Für solcherlei Dinge wurde sie mit dem Kurt-Magnus-Preis ausgezeichnet. Im Frühjahr 2008 geschahen zwei wichtige Dinge: Sie heiratete in London, wo ihr Mann damals als Hörfunkkorrespondent arbeitete. Ab April 2008 tat sie Ähnliches, sie berichtete als ARD-Hörfunkkorrespondentin aus New York – ein unglaublich spannendes Feld: mit Finanzkrise, Mega-Madoff-Milliarden-Monstern, mit euphorischer Aufbruchstimmung in der Obama-Wahlnacht, mit Abenteuern und Entdeckungsreisen im wilden bunten New York-Kosmos, mit UN-Vollversammlungen, immer wieder 9/11, mit Ausflügen nach Kanada, mit kras-ser Lebenswirklichkeit in Problemvierteln, mit Popkultur und Hochkultur: Sie traf in Brooklyn Künstler, die alle Beatles-Songs auf Ukulele einspielten, besuchte Picasso im Metropolitan Museum, Van Gogh im MoMA, Emmy-Verleihungen, Kinopremieren mit Tom Cruise und seiner „Walküre“ oder jüdische Kabaretts zum Thema Beschneidung und koschere Lebensweise. Sie lernte in dem abgehalfterten Vergnügungsviertel von Coney Island, über Glas zu laufen, gratulierte Micky Maus zum 80. Geburtstag und erforschte Bauch und Herz

Auf ihrer Hochzeit in London

der Stadt mit dem A-Train: Die U-Bahn fährt vom wenig schicken Atlantik-Strand Rockaway Beach, an dem sich Surfer, Quallen und Flugzeugabgase von JFK die Atmosphäre teilen, quer durch die Stadt, an der alten Pferderennbahn vorbei, durchs Financial District, über den Columbus Circle, Harlem und seine Jazz-Vergangenheit bis nach Inwood Hill – dorthin, wo angeblich Peter Minuit den Indianern Manhattan für einen Spottpreis abkaufte. Für dieses Feature „Take the A-Train“ erhielt sie den Radio-Reise-Preis Goldener Columbus.
Zusammen mit ihrer Fernsehkollegin Anja Bröker hielt sie diese und andere vielfältige Eindrücke auch im Bild fest, als Videoblog auf Tagessschau.de zu sehen.
Soweit der offizielle Lebenslauf. Jetzt: Was für ein Kontrast – eben noch über die Dächer der Stadt den Broadway hinabgeblickt, den Hudson zwischen den Häusern hindurchglitzern gesehen. Jetzt in einem Häuschen im Kapitänsviertel von Hamburg-Finkenwerder. Doch das nächste Abenteuer wartet schon: Es kommt als Hamburger Jung’ zur Welt; im Gegensatz zu New York schläft es hoffentlich auch mal … Mit meinem Mann teile ich mir die Elternzeit und kehre dann zum Norddeutschen Rundfunk zurück. Nicht, ohne das Rheinland und vor allem den Karneval zu vermissen. Oh, da fallen mir legendäre Schülersprechtage an Altweiber ein … Aber das ist dann ein anderes Kapitel, und vielleicht nicht so sehr zur Erbauung geeignet …