Dr. Heinz Renn

 

Direktor des Gymnasiums Zitadelle der Stadt Jülich

von 1963 – 1976

 
Von Dr. Ortwin Renn und Wolfgang Gunia

Bei Dr. Heinz Renn bot sich die günstige Gelegenheit, die Persönlichkeit von zwei Verfassern beleuchten zu lassen, nämlich von seinem Sohn Dr. Ortwin Renn, Abiturient des Staatlichen Gymnasiums Jülich im Jahre 1970. In seinem sehr gründlichen Beitrag beschäftigt er sich mit dem Lebenslauf seines Vaters und mit dessen zahlreichen Aktivitäten – auch außerhalb des Berufes. Der Beitrag von Wolfgang Gunia stellt vor allem den Schulleiter Heinz Renn in den Mittelpunkt, dessen Wirken er aus eigenem Erleben als Lehrer an der Schule seit 1967 kennen lernte.

„Lebenslauf Dr. Heinz Renn“ von Dr. Ortwin Renn

Der Pädagoge, Historiker, Heimatforscher und langjährige Direktor des Gymnasiums Zitadelle in Jülich, Dr. Heinz Renn, starb 1992. Sein Todestag jährt sich also 2008 schon zum 16. Mal. Dass Dr. Renn einer der profiliertesten Heimathistoriker des Eifler und Jülicher Landes werden und als Direktor des Gymnasiums Zitadelle die Geschicke von hunderten von Schülern maßgeblich mitbestimmen würde, war ihm nicht in den Schoß gefallen. 1911 in Hamburg geboren und aufgewachsen in dem kleinen Eifeldorf Baasem, war er eigentlich dazu ausersehen, die großväterliche Landwirtschaft zu übernehmen. Die Eltern von Heinz Renn, die aus Baasem stammten, hatten vor dem Ersten Weltkrieg ihr Heimatdorf verlassen und versucht, in der Großstadt Hamburg ein Möbelgeschäft zu betreiben. Seine Kindheit und die ersten Schuljahre verbrachte er in Hamburg, bis er 1921, zwei Jahre nach dem plötzlichen Tode seines Vaters, zu seinen Großeltern nach Baasem übersiedelte, da die Großeltern den Sohn, der den Hof übernehmen sollte, im Krieg verloren hatten, und Heinz nun nach Abschluss der Volksschule Bauer werden sollte.
Doch schon während der Volksschulzeit war Heinz Renn seinen Lehrern aufgefallen. Sein schnelles Auffassungsvermögen, seine enorme Lernfähigkeit, sein Talent zum Sprechen und nicht zuletzt sein unermüdlicher Fleiß bewogen die Lehrer, Renn eine Klasse überspringen zu lassen. Vergebens bemühten sie sich bei Renns Großeltern um die Zustimmung, den Jungen auf ein Gymnasium zu schicken. So absolvierte er die Volksschule und trat 1925 seine erste Stelle als landwirtschaftlicher Gehilfe an. Erst dem Ortspfarrer gelang es ein Jahr später, Heinz Renn in dem Konvikt in Bad Münstereifel, einem katholischen Internat mit angeschlossenem Gymnasium, unterzubringen. Dort schaffte Heinz Renn in nur sieben Jahren das Abitur.
Der Wechsel zur Universität in Bonn war für den jungen Studenten aus der Eifel eine Offenbarung. Mit großem Elan widmete er sich seinen Studienfächern Latein, Griechisch und Geschichte. Im Verlauf des Studiums schälte sich immer mehr heraus, dass seine Berufung in der Geschichtswissenschaft lag. Vor allem seine beiden Lehrer Franz Steinbach und Camille Wampach weckten in ihm die Liebe für eine bis ins Detail ausgefeilte Schilderung der historischen Gegebenheiten im Wechselspiel von großer Politik und regionalem Eigenleben. Mit der von Prof. Wampach angeregten Arbeit über das erste Luxemburger Grafenhaus promoviert Heinz Renn am 18.3.1939 und erhielt für diese Arbeit die höchste an einer Universität zu vergebende Auszeichnung: »Summa cum laude«. Gleichzeitig wurde eine seiner Veröffentlichungen zur reichsbesten Arbeit in ihrer Sparte gekürt. Beide Erfolge waren sicherlich Ursache, dass der frisch gebackene Doktor die damals einzige AssistentensteIle am Historischen Seminar der Universität Bonn erhielt.
Einer Karriere als Universitätsprofessor schien nichts mehr im Wege zu stehen. Doch Dr. Renn verzichtete auf eine sichere Traumkarriere, da er sich zunehmend dem Druck der nationalsozialistischen Ideologisierung der Wissenschaften ausgesetzt fühlte. Als auch sein Lehrer Wampach dem politischen Fanatismus der Nationalsozialisten zum Opfer fiel, nahm er schweren Herzens Abschied von der Bonner Universität und trat nach Erlangung der Lehrbefähigung für das Gymnasium eine Stelle als Referendar in Bad Godesberg an.
Noch ein weiteres Mal wird seine berufliche Laufbahn unterbrochen, als der Zweite Weltkrieg ausbrach und Dr. Renn eingezogen wurde. Fünf Jahre war er Soldat, davon drei in Russland. Die furchtbaren Erlebnisse und Eindrücke aus dem Kriegsalltag haben ihm Zeit seines Lebens zu schaffen gemacht. In Abscheu vor Krieg und Gewalt nahm er sich vor, seine pädagogische Arbeit unter das Motto des Friedens sowie der Erhaltung und Pflege des gemeinsamen kulturellen Erbens der europäischen Völker zu stellen. Schritt für Schritt machte er sich daran, diese Vision in die Tat umzusetzen.
Die erste Gelegenheit dafür ergab sich, als er 1945 in das Eifeldorf Schmidtheim zurückkehrte, wo seine Familie während der schweren Kriegsjahre untergekommen war. Da die Verkehrswege zwischen Schmidtheim und den umliegenden Orten weitgehend zusammengebrochen waren, fehlte den Kindern von Schmidtheim die Möglichkeit, eine weiterführende Schule zu besuchen. Kurzentschlossen eröffnete Dr. Heinz Renn eine Privatschule für die ortsansässigen Jugendlichen und unterrichtet nahezu alle Fächer, um die Schülerinnen und Schüler auf das Gymnasium oder die Realschule vorzubereiten. Ihm lag vor allem daran, den Kindern aus der ländlichen Umgebung die Möglichkeit zu bieten, die ihm selbst so lange versagt geblieben war, nämlich von Anfang an in den Genuss einer höheren Schulbildung zu kommen. Nachdem sich die Verkehrssituation verbessert hatte, nahm er seinen alten Beruf wieder auf und unterrichtetete als Studienrat zunächst in Köln und dann in Euskirchen. Er blieb jedoch mit seiner Familie in Schmidtheim wohnen und bekleidete dort zusätzlich das Ehrenamt des Amtsbürgermeisters. Während seiner Amtszeit setzte er alles daran, neue wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten für Schmidtheim zu schaffen, ohne jedoch die Identität des Ortes als Eifeldorf zu gefährden. So konnte er zum Beispiel durch einen Vorstoß bis ins Kanzleramt zu Staatssekretär Globke verhindern, dass in Schmidtheim ein Flugplatz gebaut wurde.
Im Jahre 1955 trat eine weitere berufliche Wende ein. Das St. Michael Gymnasium in Bad Münstereifel, die Schule, in der er selbst sein Abitur abgeschlossen hatte, suchte einen neuen stellvertretenden Schulleiter. Seine Bewerbung wurde angenommen, und die Familie zog in die Dienstwohnung im großen Klosterkomplex ein. Neben seiner pädagogischen Tätigkeit widmete sich Dr. Renn auch der Verwaltung des schuleigenen Vermögens, das er durch taktisch kluges Kaufen und Verkaufen stetig vermehrte. In diese Zeit fielen auch seine ersten Veröffentlichungen über die Geschichte der Eifel. Aktiv war er auch im »Eifelverein« und im »Verein Alter Münstereifler«, in dem er später den Vorstandsposten übernahm.
Kurz vor seiner Berufung als Direktor an das Gymnasium in Jülich wurde ihm eine Stelle als Professor für Heimatgeschichte angeboten. Nach langem Zögern sagt Dr. Renn ab. Professor war sicherlich sein Traumberuf, aber in der Schule hatte er seine Berufung gefunden. Sein pädagogisches Credo hat er mehrfach mit den einfachen Worten charakterisiert: »Wohlwollend, aber gerecht; konstruktiv in der Kritik und lebendig in der Sprache«. Seine Schüler sprechen bis auf den heutigen Tag von seiner Gabe, vergangene Geschehnisse zum Leben zu erwecken und dabei über alle Details hinweg die wesentlichen Merkmale der jeweiligen Epoche verständlich darzustellen. Darüber hinaus war Dr. Renn nicht nur an der Geschichte von Königen und Kaisern interessiert. Seine Liebe galt den kleinen Leuten, die kaum große Geschichte machen, sie aber oft genug erleiden.
Eine neue Bewährungsprobe stand ins Haus, als er im Jahre 1963 zum Oberstudiendirektor des Staatlichen Gymnasiums Jülich ernannt wurde. Wieder zog die Familie um, diesmal in die Herzogsstadt, mit der er durch seine intensiven Erforschungen der Eifler Heimatgeschichte seelisch längst verbunden ist. Doch neben den pädagogischen und historischen Aufgaben warteten hier auf ihn schwierige Veraltungsaufgaben. Die alte Schule platzte aus allen Nähten und ein Neubau war notwendig. Trotz erheblicher Bedenken der zuständigen Stellen setzte sich Dr. Renn mit seinen Plänen durch, das neue Gymnasium in den ehemaligen Wohnsitz des Jülicher Herzogs, das aus der Renaissance stammende Schloss in der Zitadelle, zu verlegen. Obwohl die finanziellen Mittel für den Neubau der Schule begrenzt waren, schafften es Karl-Theodor Atzpodien vom Staatshochbauamt und der Schulleiter Dr. Renn im Verbund mit dem Landeskonservator, die alte, nicht zerstörte Substanz der Zitadelle zu erhalten und gleichzeitig mit harmonisch zugeordnete Neubauten eine moderne und funktionale Schule zu errichten. In dem Zitadellen-Umbau verkörpert sich die Philosophie von Dr. Heinz Renn: Das kulturelle Erbe der Geschichte mit den modernen Erfordernissen des Lernens und Lebens in Einklang zu bringen.
Von 1963 bis zu seiner Pensionierung am 31.Juli 1976 drückte Dr. Renn dem Gymnasium seinen persönlichen Stempel auf. In diese Zeit fielen die großen Studenten- und Schülerunruhen, weit reichende Veränderungen in der Struktur und im Lehrplan der Gymnasien, neue Versuche mit anderen Schulformen, wie etwa Gesamtschulen, und Denkanstöße für neue pädagogische und didaktische Ziele. Als geschulter Historiker, der das Wesentliche und Zeitlose vom modernen „Schnickschnack“ zu unterscheiden wusste, steuerte er das Schiff des Gymnasiums Zitadelle durch die stürmischen 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. All das, was ihm reformbedürftig und überaltert erschien, warf er über Bord, oft gegen den Willen manch eines konservativen Kollegen. Umgekehrt bewahrte er all die Merkmale und Eigenschaften des Gymnasiums, die ihm unverzichtbar erschienen, und dies oft in Opposition zu den radikalen Neuerern. Er war und blieb ein Verfechter des humanistischen Bildungsideals: Das Gymnasium sollte Hort und Zuflucht für ganzheitliches Denken und Lernen sein. Dazu gehörten ein breiter Fächerkanon, mehrere Fremdsprachen und eine solide geistes- und naturwissenschaftliche Ausbildung.
Neben seiner Tätigkeit als Oberstudiendirektor widmete er sich weiterhin der Heimatgeschichte. Da für ihn Geschichte „erlebt“ werden musste, begnügte er sich nicht damit, Geschichte zu schreiben; er wollte Geschichte vermitteln. Zu diesem Zweck bot er im Rahmen des »Jülicher Geschichtsvereins«, der Volkshochschule und anderer Trägerschaften Studienfahrten an. Mehr als 150 Fahrten hat Dr. Renn in seiner Jülicher Zeit ausgearbeitet und persönlich geleitet. Jeder, der an diesen Fahrten einmal teilgenommen hat, weiß von der unmittelbaren Vergegenwärtigung der historischen Geschehnisse am Orte ihrer Entstehung zu berichten. Mit einer geradezu aufopferungsvollen Besessenheit hat Dr. Renn sich dieser verdienstvollen Aufgabe gewidmet.
Im Jahre 1985, knapp 10 Jahre nach seiner Pensionierung, durchlebte er eine schwere Gesundheitskrise. Zwei Herzanfälle und ein Schlaganfall hinterließen eine erhebliche Einschränkung seiner motorischen Fähigkeiten; er blieb weitgehend an das Haus gefesselt und musste seine Vorliebe für Studienfahrten aufgeben. Dank der aufopferungsvollen Pflege durch seine Ehefrau Paula und durch die Unterstützung seiner Familie kann Dr. Renn seine Gesundheitskrise überwinden und eine neue Epoche seiner Schaffenskraft beginnen. Im Jahre 1986 erscheint sein Aufsatzband »Geschichte der Eifel«; zwei Jahre später veröffentlicht er im Jubiläumsband des Eifelvereins auf über 140 Seiten die Geschichte der Eifel bis 1888. Bereits 1990 wurde ein weiteres Buch von ihm gedruckt: »Baasem: ein Eifeldorf«. In diesem ansprechenden Band hat er mehrere Aufsätze zur Geschichte seines Heimatortes und zur Heimatgeschichte insgesamt veröffentlicht. Kurz vor seinem Tod hat er sein Lebenswerk zu Ende gebracht, ein umfassendes Manuskript zur Geschichte der Eifel von der Vorzeit bis zur Gegenwart. Leider erlebte er die Drucklegung dieses Werkes nicht mehr. Aber sicher hat es ihn mit Genugtuung erfüllt, dass er dieses Werk noch hat vollenden dürfen. Im Verlauf seines Lebens hat Dr. Renn damit drei Bücher und über sechzig Artikel in Zeitschriften und Büchern geschrieben.
Unermüdlich hat er sich neben seinen beruflichen Verpflichtungen ehrenamtlichen Tätigkeiten gewidmet. An dieser Stelle seien nur einige davon genannt. Dr. Renn war hauptamtlicher Kulturwart im »Eifelverein« und dessen Vorsitzender im Bezirk Düren-Jüllich.. Er hatte den Vorsitz im »Verein Alter Münstereifler«, im »Heimatverein Baasem« und im »Jülicher Geschichtsverein« inne. Er diente als Mitglied des Vorstandes des »Historischen Vereins für den Niederrhein« sowie als berufenes Mitglied der »Gesellschaft für heimische Landeskunde«. In all diesen Tätigkeiten ging es ihm vor allem um die Pflege und Fortentwicklung der Heimatgeschichte, denn ohne Bewusstsein über die kollektive Vergangenheit konnte es nach seiner Ansicht keine Aussicht auf eine bessere Zukunft geben.
Sein Wirken blieb nicht unerkannt. Gerade in den letzten Jahren sind ihm viele Ehrungen zuteil geworden. So erhielt er das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, den Rheinlandtaler, den Ehrenring der Stadt Jülich, die silberne und goldene Ehrennadel des Eifelvereins und viele weitere Auszeichnungen. Dr. Renn war stolz auf diese Auszeichnungen, weil sie ihm zeigten, dass seine unermüdliche Arbeit und seine Begeisterung für die Vermittlung der Heimatgeschichte auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Für viele, die ihn gekannt haben, musste es ein besonderer Trost sein, dass er während einer Feierstunde zu seinen Ehren aus dem Leben schied. Einen schöneren Tod hätte er sich nicht wünschen können.
Prof. Dr. Kook von der Universität Köln schrieb 1986 in einem Geleitwort zu Dr. Renns gesammelten Schriften über die Eifel: „„Geschichte ist der Lebensweg und Lebensraum menschlicher Existenz … Diesem Geschichtsverständnis fühlte sich.. Dr. Heinz Renn stets verpflichtet. In seinen über 60 Beiträgen hat er sich mit den Menschen bis zur Gegenwart als Trägern der Geschichte in vielfältiger Weise auseinandergesetzt. Er wandte dem Lebensraum, in dem er die wichtigsten Jahre seines Lebens und Wirkens als Lehrer verbrachte, seine besonderen Interessen der Geschichtsforschung und Geschichtsvermittlung zu.“ Dr. Heinz Renn war ein wahrer Humanist. Sein Werk und seine Mission haben über seinen Tod hinaus ihre Gültigkeit behalten.

Dr. Heinz Renn – der Leiter des Jülicher Gymnasiums von Wolfgang Gunia

Dr. Renn als Leiter einer sich rasch wandelnden und wachsenden Schule
In keiner Phase der Schule wuchs die Schülerzahl des Gymnasiums Zitadelle der Stadt Jülich so rasch wie in Renns Zeit als Schulleiter. Als er 1963 die Schulleitung übernahm, besuchten knapp 400 Schüler das Staatliche Gymnasium, als er 1976 in den Ruhestand trat, waren es über 1300. Mit den Problemen dieses stürmischen Wachstums musste der Schulleiter fertig werden, und er wurde es. Die Raumprobleme, unter denen Lehrer und Schüler litten, wurden zunächst durch Auslagerungen von Klassen in andere Gebäude gelöst, z.B. in die ehemalige Ingenieurschule an der Berliner Straße, in die Grundschule (Nordschule), durch Aufstellen von Schulpavillons in der Zitadelle. Auch der Neubau in der Zitadelle löste das Raumproblem nur zeitweilig, für diese Schülerzahlen war auch dieser einfach zu klein geplant.
Viel Zeit und Nerven kostete den Schulleiter auch das Problem der Lehrerversorgung. Lehrer waren zu seiner Zeit allgemein Mangelware und man musste sich schon etwas einfallen lassen, um den Unterricht abzudecken. Dr. Renn begab sich auf die Suche und wurde vor allem im Forschungszentrum (damals Kernforschungszentrum) Jülich fündig. Viele Mitarbeiter des Zentrums halfen als nebenamtliche Lehrkräfte aus, so gut es ging. Aber auch Rentner und Hausfrauen wurden aktiviert und halfen mit, die Lücken zu schließen. Auf zeitweilig über 100 Lehrkräfte wuchs das Lehrerkollegium an. Zusätzlich bereitete die mit den Hilfskräften verbundene starke Fluktuation viel Arbeit. Es war ein ständiges Kommen und Gehen.
Eine weitere Herausforderung stellte der rasche Wandel der Schulstruktur für den Schulleiter dar mit besonderen Anforderungen an ihn und seine Mitarbeiter. Recht problemlos vollzog sich der Wandel von einer reinen Jungenschule zur koedukativen Schule, zumal die Zahl der Mädchen nur sehr langsam zunahm. Mehr Organisationsaufwand erforderte der schrittweise Wandel des ehemals »altsprachlichen Gymnasiums mit romanischem Zweig« in ein zusätzliches »neusprachliches Gymnasium« und danach außerdem noch zusätzlich in ein »mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium« und ein »Gymnasium mit pädagogisch-musischem Zweig«. All diese Zweige, die es nicht mehr gibt, seit die Schultypen mit der Einführung der Reformierten Oberstufe verschwanden, wurden von der Schulleitung ausdrücklich begrüßt, und ihre Einführung wurde gefördert. Dr. Renn hatte also rechtzeitig erkannt, dass seit der Ansiedlung des Forschungszentrums in Jülich mit mehreren tausend Mitarbeitern, von denen viele mit ihren Familien nach Jülich zogen, ein verändertes Unterrichtsangebot gemacht werden musste.

Der »neue Schulträger«
Nicht auf große Begeisterung bei den betroffenen Schulen stieß die Entscheidung der Landesregierung vom 18.05.1971, die staatlichen Gymnasien im Rahmen einer Verwaltungsreform zum Zweck der sachgerechten Arbeitsteilung zwischen den staatlichen und kommunalen Verwaltungsträgern aus der staatlichen Trägerschaft in die kommunale zu überführen. In den Diskussionen des Lehrerkollegiums wurde sehr deutlich, dass man am liebsten beim Land geblieben wäre, notfalls beim Kreis, aber den Schulträger so dicht bei sich zu haben, wie es bei einer städtischen Trägerschaft zwangsläufig die Folge war, wollte man vermeiden. Die Stimmung der Lehrerschaft wird in einer Niederschrift des Kultusministeriums über eine Besprechung in Jülich am 21.3.1972 deutlich (Schularchiv): Teilnehmer waren Vertreter des Kultusministeriums, des Finanzministeriums, des Innenministeriums, des Regierungspräsidenten Aachen, des Schulkollegiums Düsseldorf, der Stadt Jülich und des Gymnasiums, vertreten durch Dr. Renn. Er hatte in diesem Gremium über die Einstellung der Schulgemeinde zur Kommunalisierung zu berichten – sicher eine wenig angenehme Aufgabe.
In der Niederschrift lesen wir dazu:
„Die Vertreter der Schule sprachen sich für eine Beibehaltung der staatlichen Trägerschaft aus. Für den Fall der Kommunalisierung vertritt der überwiegende Teil der Lehrerschaft die Meinung, der Kreis sei der geeignetste Träger, während die Elternschaft eine Übernahme der Schule durch die Stadt für richtig hält.“ Die Schulgemeinde war sich also nicht einig und das Land entschied sich für die Trägerschaft der Stadt Jülich.
Auch eine Eingabe der Rheinischen Direktoren-Vereinigung an den Kultusminister, in der sich die Direktoren der Staatlichen Gymnasien 1972 gegen die Kommunalisierung aussprachen und zahlreiche Gründe für die Ablehnung aufführten, fand beim Land kein Gehör.
Im Mitteilungsbuch im Februar 1973 vermerkt Dr. Renn Folgendes: „Das ganze Zitadellengelände und die Gebäude bleiben im Besitz des Landes Nordrhein-Westfalen, gehen also nicht in den Besitz der Stadt über. Übergang der Schule an die Stadt frühestens am 1.7.1973, vielleicht erst am 1.1.1974.“ Mit seiner Vermutung hinsichtlich des Datums sollte Renn Recht behalten. Und man kann im Mitteilungsbuch 1974 lesen: „Mit dem 1. Januar 1974 sind wir nicht mehr staatliches Gymnasium. Der Träger unseres Gymnasiums ist die Stadt Jülich, mit der wir eine gute Zusammenarbeit wünschen. Unser neuer Name: „Gymnasium Zitadelle der Stadt Jülich“. In Klammern setzte Renn dahinter: „So von der Stadt festgesetzt“. Die letzte Bemerkung klingt kritisch. Wahrscheinlich hat sich der neue Schulträger nicht mit der Schule über den neuen Namen ins Benehmen gesetzt.
Für die Lehrer änderte sich nicht viel, ihre Besoldung erfolgte weiter durch das Land. Für das nichtpädagogische Personal, also Hausmeister, Sekretärinnen, Arbeiter, wechselte der Arbeitgeber. Am 12.12.1975 wurden termingerecht die Personalakten und Personalhefte der Betroffenen an die Schule übersandt.

Dr. Renn als Pädagoge
„Lassen wir uns menschlich sein!“ Das war ein Ausspruch, den man häufiger von ihm hörte. Viel Verständnis brachte er für seine Schüler auf, auch für ihre Schwächen. Ermuntern, motivieren waren ihm wichtiger als Härte und Strenge. Andererseits drängte er auf Leistung. Und wer etwas Besonderes leistete, fand seine volle Anerkennung. Viel Mühe wurde beispielsweise von seinen Mitarbeitern darauf verwandt, jeweils nach den Zeugnissen die Klassenbesten, die Jahrgangsbesten, die Stufenbesten und den/die Schulbeste(n) festzustellen. Die so Ermittelten wurden im Rahmen einer Schulveranstaltung öffentlich belobigt und erhielten als Anerkennung „goldene“ Bücher. Auf diese Weise wurden jeweils etwa dreißig Bücher an die erfolgreichen Schüler verschenkt. Zusätzlich wurden ihre Namen in der „Zitadelle“ festgehalten, z.B. in den Ausgaben für 1974 und 1975. – „Ein bisschen Güte von Mensch zu Mensch ist besser als alle Liebe zur Menschheit“. Mit diesem Zitat bedankte sich Dr. Renn 1986 bei seinem Nachfolger Heinz Tichlers für die Besuche, guten Wünsche und Geschenke zu seinem 75. Geburtstag, an dem er zu einem Empfang in sein Haus an der Kurfürstenstraße eingeladen hatte. Es gilt auch festzuhalten, dass Dr. Renn ein religiös geprägter Mensch war. Schulgottesdienste beider Konfessionen standen wöchentlich auf dem Stundenplan. In Eintragungen in das Mitteilungsbuch für die Lehrer jeweils am Jahresanfang wünscht er seinem Kollegium „Freude und Erfolg an unserer Erziehungsarbeit und Gottes Segen“ (1973) oder „viel Freude und Erfolg bei unserer pädagogischen Arbeit und Gottes Segen“ (1974).

Dr. Renn als Motor des Fördervereins und der Gründung der Zeitschrift »Die Zitadelle«
Ohne Dr. Renn gäbe es keine »Zitadelle«, und zwar in mehrfachem Sinne: Er wirkte entscheidend daran mit, dass der Neubau des Gymnasiums in der Zitadelle errichtet wurde, er ist also ein Vater des »Gymnasiums Zitadelle«. Schon vor dem Umzug in die Zitadelle im Jahre 1972 setzte er sich – auch auf Drängen von Eltern und Ehemaligen – energisch für die Gründung eines Fördervereins ein, eigentlich war es eine Wiederbelebung, denn bereits 1955 war es zu einer Gründung gekommen, die jedoch nicht den erhofften Erfolg hatte. An der Neugründung am 12.11.1969 hatte Dr. Renn entscheidenden Anteil und wirkte als Schulleiter als geborenes Mitglied im Vorstand mit.
Mit der Neugründung des Fördervereins wurde zugleich die »Zitadelle« als Mitteilungsorgan des Vereins ins Leben gerufen. Nach den Erfahrungen des Vorgängervereins war klar, dass nur ein regelmäßig erscheinendes Jahrbuch den Verein zusammenhalten konnte. Diese Jahresschrift erhielt im Vorgriff auf den erst zwei Jahre später erfolgenden Umzug in die Zitadelle bereits den Namen »Zitadelle«. Die erste Ausgabe erschien im Jahre 1969.
Dr. Renn beließ es aber nicht bei einem nominellen Wirken, sondern unterstützte die Schulzeitung durch zahlreiche sehr interessante und heute auch als Quelle wichtige Beiträge. Nur auf einige kann hier hingewiesen werden:

  • »Das Staatliche Gymnasium stellt sich vor« (Heft 1, 1969)
  • »Die soziale Struktur unserer Schüler« (Heft 2, 1970)
  • »400 Jahre Gymnasium Jülich und seine Beziehungen zur Zitadelle« (Heft 7, 1973)
  • »Zum Wechsel der Trägerschaft der Schule« (Heft 8, 1973/74)

Die in den Ausgaben regelmäßig enthaltenen »Berichte des Schulleiters« sind eine Fundgrube für jeden, der sich mit der Schulgeschichte beschäftigt, vor allem wegen des reichlichen statistischen Materials und wegen der Ausführungen über die Wandlungen der Schulstruktur.

Dr. Renn der Historiker
Dass sein Herz vor allem für die Historie schlug, wurde auch im Schulalltag deutlich. Schulleiter von Schulen dieser Größenordnung erteilen nur noch sehr wenig Unterricht. Er ließ es sich aber nicht nehmen über viele Jahre hinweg selbst Geschichtsunterricht in den Klassen 12 und 13 zu übernehmen. Da ich selbst von ihm als Studienreferendar ausgebildet wurde, habe ich selbst erlebt, wie er es geschickt verstand, Stadtgeschichte, Regionalgeschichte, Landesgeschichte und große europäische Geschichte anschaulich miteinander zu verbinden. Bei den Anschaffungen für die Lehrerbücherei wurde seine Vorliebe für die Landesgeschichte deutlich. Bei diesem Thema wurde nicht gespart, und es kamen beachtliche Bestände zusammen.
Dass er als langjähriger Vorsitzender des »Jülicher Geschichtsvereines« auch im Lehrerkollegium für seinen Verein warb, war klar, und viele Lehrer folgten seinem Werben.
Seine Begeisterung für Geschichte drückte auch den Ausflügen des Lehrerkollegiums seinen Stempel auf. Einfach nur wandern und irgendwo essen gehen, das war ihm zu wenig. Es musste auch etwas für die Bildung der Lehrer getan werden, und oft übernahm er selbst im Bus oder vor Ort die historischen Einführungen und Führungen.

Dr. Renn und die Festung Zitadelle
Das Projekt »Neubau des Gymnasiums in der Zitadelle« wurde von ihm mit vollem Einsatz und großer Begeisterung geführt. Der Bauplatz war für ihn nicht eben nur ein Bauplatz, sondern ein zutiefst geschichtlicher Ort, der durch die Person Herzog Wilhelms V., des Erbauers der Zitadelle und des Gründers der höheren Schule in Jülich besonders herausgehoben war.
Am 15.11.1963 gab es eine Besprechung einer Delegation von Lehrern bei Staatshochbauamt in Aachen über den Schulneubau.
Am 15. Januar 1964 hielt Oberbaurat Carl Theodor Atzpodien vor der allgemeinen Konferenz der Lehrer einen Vortrag zum Thema „Der Schulneubau in der Zitadelle“. Im Mai des gleichen Jahres beschäftigte sich die Schulgemeindeversammlung mit dem Neubau.
Aber vom Projekt bis zur Realisierung war es ein weiter Weg: Der Plan bestand bereits, als Dr. Renn 1963 die Leitung der Schule übernahm. Dass es bis zur Fertigstellung neun Jahre dauern sollte, hat er damals zum Glück nicht gewusst. Seine Begeisterung wirkte ansteckend und unermüdlich führte er Lehrer, Schüler und andere Besuchergruppen bereits zu einer Zeit auf den Bauplatz, als es außer Ruinen noch nicht viel zu sehen gab.
Folgerichtig hielt Dr. Renn zur Einweihung des Neubaus am 24.10.1972 auch einen Festvortrag zum Thema „400 Jahre Gymnasium und Zitadelle Jülich“.
Eigentlich hofften Schulleiter, Schüler und Lehrer darauf, dass es nach der Grundsatzentscheidung, den Neubau in der Zitadelle zu errichten, auch bald losgehen werde. Vor allem da die Raumnot immer bedrohlicher wurde. Immerhin kam es am 23.11.1965 zum Grundstücksverkauf des Zitadellengeländes durch die Stadt an das Land Nordrhein-Westfalen für eine Million Mark. Im Kaufvertrag sind einige für die Schule wichtige Regelungen zwischen der Stadt Jülich und dem Land festgelegt:

  • Die Übertragung sollte zum Zweck der Einrichtung eines Gymnasiums und zur Wiederherstellung der historischen Anlage der Zitadelle, soweit schulische Belange dadurch nicht beeinträchtigt werden, erfolgen.
  • Die Stadt erhielt das Recht zur Einrichtung eines Römisch-Germanischen Museums im Kellergeschoss des Kapellenflügels und das Recht, dieses der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Schulbetrieb durfte hierdurch nicht beeinträchtigt werden.
  • Das Land verpflichtete sich, den Wall im Westen zwischen Nord- und Südtor zu bestimmten Zeiten dem Fußgängerverkehr zugängig zu machen.

Wer jetzt erwartet hatte, dass es mit dem Neubau nun zügig vorangehen werde, wurde bitter enttäuscht. Die Planungen gingen zwar weiter, aber die Baumaßnahmen gerieten nach kurzer Zeit ins Stocken. Hintergrund war die erste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1966/67 mit entsprechenden Rückgängen der Steuereinnahmen. Besorgt wandte sich deswegen am 12.05.1966 der Landeskonservator an den Kultusminister, weil er befürchtete, dass nach dem Abtragen der Ruinen des herzoglichen Schlosses im Süden und Norden Schäden am Denkmal auftreten könnten. Wörtlich heißt es: „Wohl wurde eine Enttrümmerung durchgeführt und dabei die Gewölbe der Keller freigelegt. Da ich nun Sorge habe, dass durch noch längere Verzögerung des Baubeginns die ohne Schutz freiliegenden denkmalwerten Subkonstruktionen der alten Schlossanlage durch Witterungseinflüsse erheblichen Schaden erleiden – so sind schon deutliche Frostschäden des letzten Winters zu erkennen. – würde ich es sehr begrüßen, wenn in Abstimmung mit dem Bauministerium bald mit dem 1. Bauabschnitt begonnen werden könnte.“
Auch Jülicher machten sich Sorgen um den Fortgang des Neubaus. Im Archiv findet sich eine Petition mit Datum vom 31.7.1967 an den Landtag und die zuständigen Fachausschüsse des Landtages und die Ministerien. Unterzeichnet wurde sie von Eltern, Pädagogen, Kommunalpolitikern und interessierten Jülicher Bürgern. Unter Hinweis auf die rasch wachsende Schülerzahl und den katastrophalen Raummangel erwarten die Unterzeichner, dass unverzüglich mit dem Neubau begonnen wird.
Dr. Renn bewies angesichts dieser Verzögerungen und der damit verbundenen Probleme Ausdauer, Hartnäckigkeit und verlor nie den Glauben an das Projekt. In diesen Jahren waren die Schulleitung und die Fachlehrer gefordert, sich in die Planungen mit ihren Wünschen hinsichtlich Einrichtung und Ausstattung einzubringen und beratend tätig zu sein. Besonders arbeitsintensiv war dies im Sportbereich, der Turnhalle, den Außensportanlagen und beim Institut mit dem naturwissenschaftlichen Fachräumen.
Die Kosten für das Projekt waren für die damalige Zeit gewaltig. In einem Schreiben vom 6.3.1967 wurde Dr. Renn mitgeteilt, dass sie sich für Außen- und Innenanlagen ohne Inneneinrichtung auf gut 14 Millionen Mark belaufen würden.

Der Abschied
Am 12.Juli 1976, also nach 13 Jahren als Schulleiter, hieß es für H. Renn Abschied zu nehmen von seiner Schule. Im voll besetzten Pädagogischen Zentrum (PZ) standen bei der Feier zur Verabschiedung zahlreiche Redner an dem Pult, an dem er selbst oft vor einem sehr unterschiedlichen Publikum gesprochen hatte, und würdigten seine Verdienste um die Schule, die Schüler und die Stadt. Für den Schulträger, die Stadt Jülich sprach Bürgermeister Karl Knipprath, für das Kultusministerium Regierungsschuldirektor Jörgen Nieland als Dezernent der Schule, für die Schulleitung Studiendirektor Heinz Kräling. Heinz Tichlers, der designierte Nachfolger von Dr. Renn, sprach für den Lehrerrat, Carsten Stiemerling für die Schulpflegschaft und Andreas Graudus für die Schülervertretung. In Heft 11 der Zitadelle (1977) kann man die Reden nachlesen. Hier möge stellvertretend nur ein Satz aus den Reden aufgenommen werden. Bürgermeister Karl Knipprath würdigte Dr. Renn mit den Worten: „Sie haben sich, sehr geehrter Herr Dr. Renn, um unsere Heimatstadt und um das Jülicher Land verdient gemacht.“
Dr. Renn blieb auch nach seinem Eintritt in den Ruhestand in Jülich und wohnte weiter im ehemaligen Schulleiterhaus an der Kurfürstenstraße, das er vom Land NRW erworben hatte. Von dort konnte er einen direkten Blick auf die Hauptstätten seines pädagogischen Wirkens, auf das Gebäude des Staatlichen Gymnasiums und auf die Zitadelle, werfen.
Bis zu seinem Tode widmete er sich, soweit es seine Gesundheit zuließ, seinen historischen Studien und Vorträgen. Er starb 1992 in seiner ersten Heimat, der Eifel, bei einer Preisverleihung an ihn. Begraben ist er in seiner zweiten Heimat in Jülich.

 

Literatur- und Quellennachweise: Als Quellen herangezogen wurden vor allem die Akten, Protokolle und Mitteilungsbücher im Schularchiv und die Ausgaben der »Zitadelle« von 1969-1977. Zu verweisen ist auch auf den Aufsatz von Guido von Büren »Die Geschichte der Geschichte – Der Jülicher Geschichtsverein 1923-1998« in Jülicher Geschichtsblätter Bd. 67/68, S. 25ft; ebenda auch der Aufsatz des Verfassers zum Thema »Jülicher Geschichtsverein und Jülicher Gymnasium«