Josef Kauff (Abiturient)

von Dr. Peter Nieveler

Foto aus der Totenzettel Sammlung des Bischöflichen Diözesanarchivs Aachen

Der Jülicher Abiturient des Jahrgangs 1920 wurde in Rödingen in der heutigen Gemeinde Titz als Sohn eines Lederhändlers und Gerbereibesitzers geboren und hatte zwei Brüder und zwei Schwestern. Wenige Monate vor seinem Abitur wurde am 24. Januar 1920 in Jülich Friedrich Sassenscheidt von einem französischen Besatzungssoldaten umgebracht. An der Spitze des endlosen Protest- und Trauerzuges trugen Kauff und einige seiner Mitschüler als gewählte Vertreter der Schülerschaft einen Kranz durch die Stadt zum Grab des Toten. Zum ersten Mal wurde hier Kauffs ein Leben lang anhaltender Einsatzwille für die Jugend und für die Armen erkennbar.

Er studierte in Köln, Bonn und München Theologie und wurde 1925 in Köln zum Priester geweiht. Fünf Jahren war er dann als Kaplan in der Berg-arbeitersiedlung Alsdorf-Kellersberg tätig, wo er sich um die Bergarbeiterjugend kümmerte und den »Jungmänner-Verein« sowie das »Trommler- und Pfeifer-Korps« gründete, mit dem er auch bei einer Kirmes in Rödingen auftrat. Die CVJM – Christliche Vereinigung Junger Männer – ist heute mit einer viertel Million Mitgliedern in Deutschland die größte christliche überparteilich, überkonfessionell und international arbeitende Jugend-Gemeinschaft. Damals wie heute bietet sie der Jugend eine Plattform für alle ihre Interessen. Genau damit passte sie sehr gut in die Vorstellungen von Josef Kauff, der 1930 als Kaplan nach Jülich kam, nicht zuletzt wohl auf Drängen des Oberpfarrers und Dechanten Johannes Brandts, der selbst lange Zeit als Pfarrer im Rurgebiet gewirkt hatte und einen dynamischen, jungen Menschen für die eher streng konservative Pfarrgemeinde in Jülich suchte. Kauff wurde auch umgehend Präses des Jungmänner-vereins, der katholischen Jugend im CVJM. Er wusste noch nicht, dass er vor sehr schwierigen Jahren stand, vor der Auseinandersetzung der katholischen mit der nationalsozialistischen Jugend, vor der Auseinandersetzung zwischen Kirche und NS-Staat. Bis zum Jahre 1938 gelang es dabei Kauff immer wieder, seine katholische Jugend bei der Stange zu halten. Dann wurde der Jungmännerverein in Jülich wie alle anderen katholischen Vereine aufgelöst. Kauff aber blieb als »ihr« Kaplan im Gedächtsnis vieler jungen Männer erhalten, die bald in den Krieg mussten und von denen viele den Tod fanden. In den 30er Jahren war Kauff mit diesen jungen Leuten heimlich in der Nacht mit Plakaten und Handzetteln durch Stadt und Kreis Jülich gezogen und hatte die Menschen aufmerksam zu machen versucht auf die verhängnisvollen Folgen der nationalsozialistischen Diktatur.

Eigentlich aber war Kauff aus einem anderen Grund nach Jülich versetzt worden. Er erhielt hier die dritte, völlig neu eingerichtete Kaplansstelle und wurde Sekretär des Caritas-Verbandes im Kreis Jülich, der im Jahre 1927 vom Dechanten des Dekanates Jülich, dem Pfarrer an der Propsteikirche, Johannes Brandts, und vom Pfarrer von Bourheim, Hugo Bartscher, für den Kreis Jülich gegründet worden war. Seit 1897 ist der Caritas-Verband die Zentralorganisation katholisch caritativer Tätigkeit, anerkannt von der Deutschen Bischofskonferenz und in allen Diözesen tätig. Kauff machte sich in Jülich sofort an die Arbeit. Sein erstes wichtiges Arbeitsgebiet war die Betreuung der Arbeitslosen und Nicht-Sesshaften, von denen es in dieser Zeit der Wirtschaftskrisen und der Arbeitslosigkeit genug gab. Kauff suchte und fand bald eine sehr günstig gelegene und auch erwerbbare Unterkunft für sein Vorhaben, die Häuser in der Stiftsherrenstraße 9 und 11, die bis zur Aufhebung aller kirchlichen Vereinigungen und Güter 1803 den Stiftsherren, einem Kollegium von Geistlichen an der Pfarrkirche, und nach dem Zerbrechen des alten Reiches dem Staat gehört hatten, der diese durch das Finanzamt in Jülich verwaltete. Sie standen leer, seit die belgische Besatzung, die sie als Proviantamt II benutzt hatte, die Stadt Ende 1929 verlassen hatte. Kauff konnte die genannten Häuser mit rund 1.800 m² Haus-, Hof- und Gartenfläche schon im Mai 1930 für 15.000 Reichsmark für den Caritas-Verband erwerben und anschließend für den vorgesehenen Zweck umbauen. Die Häuser wurden 1944 zerstört, gehören aber unter der Nummer 9 bis heute der Caritas und werden immer noch für ihre Zwecke genutzt. Wie sie nach dem Umbau aussahen beschreibt das Jülicher Kreisblatt in ganzseitiger Aufmachung am 14. Dezember 1931. Der lange Artikel zeigt auch, dass der Bau großes öffentliches Interesse fand, waren bei der Einweihung doch neben der katholischen Ortsgeistlichkeit auch der Bürgermeister, der Landrat, die Spitzen des Diözesan-Caritasverbandes und ein Landesrat aus Düsseldorf als Vertreter überörtlicher Behörden anwesend. Auch der evangelische Ortspfarrer Hermann Barnikol war da. Und es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieses „zwar ein katholisches Haus sei“, dass es aber „die Armen der Landstraße“ aufnehme „ohne nach Rang und Konfession zu fragen.“ Pfarrer Barnikol sei daher im Heim „ein stets gern gesehener Gast“ – Ökumene, Josef Kauff, dem bei der Eröffnung des »Johannesheims« entsprechendes Lob gezollt wurde, mit Nachdruck lebte.

Stiftsherrenstraße 9-13 , Foto im Stadtarchiv Jülich; Aufnahme 1938 durch Prof. René von Schöfer

Das Haus konnte 76 Obdachlose aufnehmen. Sie erhielten Unterkunft, Verpflegung und einen Hausanzug und sollten durch Arbeit im Haus resozialisiert werden. Es gab zwei Erwerbsquellen: Das Sammeln von Altpapier und den Verkauf von Holz, mit dem die Bürger der Stadt ihre Öfen anzünden konnten. Das Altpapier wurde in der Stadt gesammelt zusammen mit Kartoffelschalen und anderen frischen Abfällen, die an die Schweine des Hauses verfüttert wurden, damit immer preisgünstiges Fleisch zur Verfügung stand. Holz wurde in den Wäldern der Jülicher Umgebung in großen Mengen gekauft, in 15 bis 20 cm lange Stücke zersägt, in feine, leicht brennbare Streifen gehackt und dann mit Draht zu kreisförmigen Bündeln von ein und zwei Kilogramm gebunden. Es konnte leicht verkauft werden an den Haustüren bei den Jülicher Bürgern. Zuerst überwog die Übernachtungsmöglichkeiten fürNicht-Sesshafte als Zweck des Hauses. 1934 zogen 10058 so genannte Wanderer durch das Heim. Für die Betreung konnte Kauff den Johannesbund in Leutesdorf am Rhein bei Neuwied bewegen, der 1919 gegründet worden war und heute noch besteht. Dieser katholische Bund hatte sich ursprünglich mit alkoholabhängigen Männern beschäftigt, dehnte seine Arbeit aber dann auf Frauen und Arme aller Art aus. Der Johannesbund, nach dem das Heim auch seinen Namen erhielt, blieb bis 1934 in Jülich. Danach wurde das Haus vom Caritas-Verband selbst betreut.

Als die Arbeitslosigkeit nach 1933 nachließ, wurde das Johannesheim mehr und mehr zu einer Übergangswohnung für Nicht-Sesshafte. Aus dem »Wandererheim« wurde ein »Wandererarbeitsheim«. Niemand konnte hier übernachten, ohne im Heim gearbeitet zu haben. Da es auch eine Desinfektionsanlage gab, wurden bis 1944 auch Kriegsgefangene durch das Haus geschleust und Flüchtlinge aus aller Herren Länder. Da kannte Josef Kauff zwischen den Nationalitäten so wenig einen Unterschied wie zwischen den Konfessionen. Das Heim bestand bis 1953 und wurde dann auch noch auf Initiative von Josef Kauff zum Seniorenheim umgestaltet, weil seine alten Aufgaben nicht mehr gefragt waren. Es erhielt den Namen Hildegardisstift und wurde später an der Merkatorstraße neu errichtet, wo es bis heute vom Caritas-Verband unterhalten wird.

In den Jahren 1930 bis 1932 stieg natürlich auch die Zahl der jungendlichen Arbeitslosen dauernd. In Zusammenarbeit mit Arbeitsamt und Stadt richtete Kauff unter Führung des Caritas-Verbandes zusammen mit den von ihm betreuten Vereinen den Freiwilligen Arbeitsdienst in Jülich ein, der beispielhaft für die Region war. Für Mädchen gab es Kurse im Kochen und in anderen hauswirtschaftlichen Fächern. Sie übernachteten aber zu Hause. Die jungen Männer lebten kaserniert in der Zitadelle und in ihrer Umgebung. Den Lohn für gemeinnützige Arbeiten zahlte das Arbeitsamt. Der so genannte FAD arbeitete im Brückenkopf, den er im Auftrag der Stadt zu roden begann und wo er mit dem Bau einer Freilichtbühne anfing. Vom FAD wurden auch Arbeiten zur Gestaltung des Zitadellengrabens durchgeführt. 1933 wurde der FAD aufgelöst und in den Reichsarbeitsdienst überführt. Das gesamte Lager des FAD wurde enteignet. Die Wiedergutmachungskammer des Landes NRW zahlte 1961 an Josef Kauff für den Caritas-Verband Jülich 41.000 DM als Entschädigung für diese Enteignung.

Schon 1930 war es Josef Kauff auch gelungen, den in Jülich kaum noch existierenden Katholischen Arbeiterverein zu reorganisieren. Aus den persönlichen Mitteln der Geistlichen des Dekanates, die Kauff um eine monatliche Spende bat, weil sich der Zentralverband für Jülich nicht engagieren wollte, wurde ein hauptamtlicher Sekretär eingestellt. 1934 konnte der Arbeiterverein unter dem Druck der Nationalsozialisten nicht mehr gehalten werden.

1940 wurde Josef Kauff Pfarrer in Güsten unter Beibehaltung seiner Tätigkeit beim Caritas-Verband. Als 1946 in Jülich Propst Karl Theodor Bechte starb, wollte Wilhelm Johnen, der Landrat des Kreises Jülich und stellvertretender Vorsitzender des Kirchenvorstands war, den Aachener Bischof Johannes Josef van der Velden aus für Johnen und Jülich verständlichen Gründen dazu bewegen, den rührigen Kauff zum Propst von Jülich zu machen. Der Bischof tat es nicht. Er schickte Kauff 1952 als Pfarrer nach Mönchengladbach, wo er Propst der Münsterkirche wurde. 1959 erhielt er vom Aachener Bischof den Ehrentitel eines Domkapitulars. Josef Kauff starb am 03. Mai 1984 in Mönchengladbach.

Quellen und Literaturhinweise

Stadtarchiv Zeitungen und Foto Stiftsherrenstraße
Bischöfliches Diözesanarchiv Aachen Totenzettel mit Foto
Wilhelm Johnen, Alte Familien des Jülicher Landes, Bd. XIII, Jülich 1975, S.4
Günter Bers, der Bezirksverband Jülich der katholischen Arbeitervereine im Jahre 1921, Beiträge zur Jülicher Geschichte Nr.48, Jülicher Geschichtsverein, Jülich 1981, S.3
August Engel, Das Johannesheim in Jülich. Von der “Wanderer-Arbeitsstätte” zur „kriegswichtigen Einrichtung“ 1929-1944, Neue Beiträge zur Jülicher Geschichte, Band III, Teil 2, Joseph-Kuhl-Gesellschaft, Jülich 1992, S.169
Günter Bers, Lebensverhältnisse in der Stadt Jülich im Jahre 1947. Die Not war groß. Es musste geholfen werden. Ein Besuch bei der Caritasküche in Jülich. Neue Beiträge zur Jülicher Geschichte. Bd. XVII, Joseph-Kuhl-Gesellschaft, Jülich 2005, S.135