In memoriam Roswitha Richter († 19.03.2024)

Am 19.März 2024 starb Roswitha Richter im Alter von 88 Jahren und wurde in Stetternich, wo sie über Jahrzehnte lebte, beerdigt. Vielen ihrer ehemaligen Kollegen und Kolleginnen am Jülicher Gymnasium ist sie in guter Erinnerung als temperamentvolle, lebhafte, durchsetzungsfähige sympathische Kollegin und als anerkannte moderne Kunsterzieherin. Ihr Start am Jülicher Gymnasium , wo die 1936 Geborene 1967 als Assessorin von der Kunstakademie Düsseldorf und der Uni Köln kommend mit den Fächern Erdkunde und Kunst ihren Dienst antrat, war keineswegs einfach. Das Jülicher Gymnasium der 60er Jahre war in vieler Hinsicht eine andere Welt als heute. So besuchten die Schule mit damals altsprachlichem Schwerpunkt ausschließlich Jungen. Im Vergleich zu heute hatte die staatliche Schule mit dem Standort am Neußer Platz einen anderen Sitz und beherbergte lediglich circa 400 Schüler, wodurch sich ebenfalls ein wesentlich kleineres Kollegium ergab. Doch für Roswitha Richter der wohl wichtigste Unterschied: Sie war die einzige junge Frau im Kollegium unter 19 Männern. Das Foto des Kollegiums aus dem Jahre 1967 mit ihr in der Mitte macht deutlich, was das für die sie bedeutete. Auf dem Foto fehlt der Schulleiter Dr. Heinz Renn und die beiden einzigen, aber wesentlich älteren Kolleginnen Anni Struwe und Käthe Kelleter (später Rothoff).

Auf dem Foto fehlt der Schulleiter Dr. Heinz Renn und die beiden einzigen, aber wesentlich älteren Kolleginnen Anni Struwe und Käthe Kelleter (später Rothoff)

Alle Herren im Sakko und mit Krawatte, damals eine Selbstverständlichkeit. Sie war für diese Männergesellschaft etwas Fremdes, etwas Exotisches, und musste sich von den meist viel älteren Kollegen – viele waren Kriegsteilnehmer – Dinge anhören wie: Frauen sollten besser zu Hause bleiben, den Haushalt versorgen und Kinder kriegen und versorgen, Männern nicht den Arbeitsplatz wegnehmen. Aber nicht nur für die männlichen Kollegen war sie etwas Ungewohntes, auch bei den Schülern, zunächst nur Jungen, war sie in den ersten Jahren etwas Neues. Ein Abiturient erinnert sich daran, dass die neue Lehrerin einen Minirock trug, was durchaus für Aufregung sorgte.

Aber Roswitha Richter ließ sich nicht unterkriegen, auch wenn sie noch im hohen Alter sagt, dass sie das damals belastete. Äußere Umstände halfen ihr im Laufe der Zeit in mehrfacher Hinsicht und veränderten die Schule: Die Ansiedlung des Kernforschungszentrums in Jülich (heute FZJ) brachte viele wissenschaftliche Mitarbeiter und ihre Familien nach Jülich und die wünschten für ihre Kinder eine andere Schule. Die Schule erhielt schrittweise zusätzlich einen neusprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig, weil die Eltern das forderten. Und auf dem Klageweg erreichte ein Vater, dass seine Tochter die Jungenschule besuchen durfte. Damit wurde der Weg frei für eine Schule mit Koedukation. Den Wandel förderte auch das rasche Anwachsen der Zahl der Schüler und allmählich auch der Schülerinnen. Das hatte zur Folge, dass auch die Zahl der Lehrer anstieg und unter den neuen Lehrkräften waren immer mehr Lehrerinnen. All das kam Roswitha Richter entgegen, die beliebt und anerkannt war – ihr Kunstunterricht war modern, vielseitig sowie kreativ und ließ den Schülern und Schülerinnen viel Freiraum für eigenes Gestalten.Die Erzeugnisse ihrer Arbeit halfen in zahlreichen Ausstellungen die Flure der Schule zu verschönern und bildeten oft über viele Jahre einen Blickfang.

Dieses Bild ziert noch heute eine Wand im Nordflügel. Angefertigt von einem Leistungskurs von Frau Richter. (Thomas Cannova)

Roswitha Richter gestaltete mit und half mit, dass ein neuer Wind wehte: Und sie tat den Mund auf und zeigte, was ein moderner Kunstunterricht zu bieten hat. In der Jahresschrift DIE ZITADELLE, die seit 1969 erscheint, finden sich verschiedene Beiträge von ihr und belegen ein ganz neues Selbstverständnis des Kunstunterrichts. Darüber hinaus entwarf sie 1983 zur 13. Ausgabe der mittlerweile über 50 Ausgaben umfassenden Jahresschrift das Deckblatt sowie die Titelseiten der Festschrift.

Wie beliebt sie bei ihren Schülerinnen war, wird in ihrer Rede „Verabschiedung der Abiturientia 1978 aus der Sicht einer Kunsterzieherin“ deutlich: Die Schüler hatten sie darum gebeten, die Rede zu halten. Ihre Ansprache, in der sie zunächst zwei Hauptströmungen in der Kunst der Gegenwart charakterisiert, überträgt sie auf die Gesellschaft und schließt mit einem direkten Bezug und einem Rat an ihre Abiturientia: „Fluctuat, nec mergitur! Das heißt in meiner persönlichen Übersetzung für Sie: Schwimmen Sie in der Welle, die Sie trägt und gehen Sie nicht unter! Und man kann auch gegen den Strom schwimmen – jedenfalls eine Zeit lang!“

Auch im wachsenden Kollegium war Roswitha Richter anerkannt und beliebt. Dass sie fast durchgehend den Vorsitz der Fachkonferenz Kunst innehatte, wird nicht verwundern, zumal dazu nur wenige Fachlehrer gehörten. Auch im wachsenden Kollegium, zeitweilig gehörten über hundert dazu, wurde sie immer wieder von den Kollegen und Kolleginnen in den Lehrerrat gewählt bis sie selbst sagte: Nur sollen es mal andere tun. Warum war sie für diese Aufgabe so gut geeignet? Der Lehrerrat soll die Wünsche und Interessen der Lehrkräfte gegenüber der Schulleitung vertreten und möglichst auch durchsetzen. Das konnte sie mit Energie, Charme und Ausdauer gegenüber den Schulleitern. Die Kollegen dankten es ihr.

1998 ging sie nach 31 Jahren am Gymnasium Zitadelle – inzwischen befördert zur Studiendirektorin – in den Ruhestand. Mit einer stimmungsvollen Feier wurde Sie in der Schlosskapelle vom versammelten Lehrerkollegium verabschiedet.

W. Gunia