1985 fand am Gymnasium Zitadelle zum ersten Mal eine Projektwoche statt. Fast drei Jahre später reifte der Gedanke, diese vor den Sommerferien des Jahres 1988 zu wiederholen. Man war sich einig, „daß bei richtiger Planung und Vorbereitung Projektunterricht eine dem großen Aufwand lohnende Alternative und Bereicherung des herkömmlichen Schulunterrichts sein kann“. Und der Aufwand war in der Tat enorm: Aus 66 verschiedenen von der Planungsgruppe erar-beiteten Themen, die 9 verschiedenen Wissensbereichen zugeordnet waren, durften die Schü-ler:innen der Zitadelle ihre Erst- und Zweitwahl treffen. „Beliebte Themen wurden daraufhin doppelt angeboten, andere ganz gestrichen, so daß zum Schluss 44 Gruppen übrigblieben“, die nun noch auf die Lehrkräfte der Schule aufgeteilt werden mussten.
Neben künstlerischen und kreativen Projekten wie Nähen, Töpfern, Korbflechten, Seidenmalerei oder dem Arbeiten mit Holz und Speckstein standen auch überraschende Angebote auf dem Programm. So interviewte die Gruppe „Suchtprobleme in Jülich“ Apotheker:innen und Aufsichtspersonal von Spielhallen, um so letztlich zu dem Schluss zu kommen, „daß in unserer Stadt offensichtlich das Problem der exzessiven Spielleidenschaft immer gravierender wird.“
Einem aktuellen Problem widmete sich auch die Gruppe „Diensträder“. Da im Schuljahr 1988/89 der Unterricht für die Klassen 5 und 6 zum ersten Mal im Westgebäude an der Düs-seldorfer Straße stattfinden sollte, machte man sich Gedanken darüber, wie die Lehrkräfte der Zitadelle in Zukunft die Wege zwischen Haupt- und Westgebäude zurücklegen sollten. Recht schnell war man sich einig: „Ein Wechsel […] mittels PKW ist […] zeitmäßig unrationell und im übrigen ökologisch nicht vertretbar.“ Andererseits sei „in unserer Zeit mit ihren typischen Zivilisationskrankheiten […] der Wert von Bewegung in der frischen Luft nicht zu unterschätzen“, wobei allerdings die „Weg-Zeit-Relation“ der Strecke problematisch sei. Was also tun? Um ein pünktliches Erscheinen der Lehrer:innen in ihrem Unterricht zu gewährleisten, wurden während der Projektwoche zwei gespendete schrottreife Fahrräder repariert und zu neuen Diensträdern in den Stadtfarben Schwarz und Gelb umgestaltet. Nicht nur dabei waren Schüler:innen handwerklich aktiv: „Ging man an diesen Tagen an den Klassenräumen vorbei, dann hörte man eifriges Hämmern und Werken, sah Schüler mit selbstgefertigten Plakaten über die Flure rennen und andere in farbbeschmierten Kitteln ihre Kunstwerke zur ‚Ausstellung‘ tragen.“ Das spektakulärste und außergewöhnlichste Projekt war jedoch sicher die von Antje Mittelstaedt geleitete archäologische Forschungsgruppe, die auf dem Gelände der städtischen Kläran-lage tagelang den Aushub eines im Mittelalter verfüllten Grabens nach Tierknochen, Keramikscherben und Münzen durchkämmte. Aus den dort gemachten Funden konnten wertvolle Hinweise auf die Jülicher Stadtgeschichte gewonnen werden.
Die Jülicher Nachrichten zogen nach dem Präsentationstag, der die dreitägige Projektwoche am Samstag vor den Sommerferien abschloss, ein positives Fazit: „Die 2. Projektwoche des Gymnasiums Zitadelle war für die Beteiligten und die Besucher ein großer Erfolg.“ Zudem sei mit dem Bau eines Schrankes für die Schule erfreulicherweise der Stadthaushalt entlastet worden – wenn das kein Argument für ein Wiederaufleben der Projektwoche 35 Jahre später ist!
M. Maintz
Quellen aus dem Schularchiv:
• F.H. Reuters: Gymnasium Zitadelle – Westgebäude. Mitteilungen des Gymnasiums Zitadelle der Stadt Jülich, Heft 18
• Heinz Kräling: Diensträder. Ebd.
• Bernhard Kosak: Projektwoche ‘88. Ebd.
• Antje Mittelstaedt: Schüler als Archäologen. Ebd.
• o.N.: Schüler entlasteten den Stadthaushalt. Jülicher Nachrichten vom 5.7.1988
• o.N.: Lohn der geschichtlichen Buddelei. Jülicher Nachrichten 1988
• asc: Eine Pyramide aus Köpfen. Jülicher Zeitung (?) 1988